top of page

Mut in Zeiten der Diktatur

Aktualisiert: 23. Dez. 2024

Sehr geehrte Gastgeber, Honoratioren und Anwesende,

 

es ist mir eine große Freude und Ehre, heute hier zu sein. Ich möchte mich, auch im Namen meiner Frau, für die Einladung herzlich bedanken.

 

Bitte verstehen Sie diese Freude, die nicht nur dem ehrenden Anlass geschuldet ist.

Ich bin, 1963 geboren, in dem 1928 von meinem Großvater Anton Klein gebauten Haus in Selbach bei Wissen an der Sieg im Kreis Altenkirchen groß geworden, in dem sein Patenonkel, der heute zusammen mit Herrn Metzler geehrte „Onkel Pastor“, wie er in der ganzen Großfamilie genannt wurde, oft zu Gast war. Im Wohnzimmer meiner Großmutter hing ein großes Porträt von ihm. Sein 1823 gebautes Elternhaus in Selbach gibt es auch noch; es war der Stammsitz der Familie Klein. Pastor Anton Klein war das dritte Kind meiner Ur-Ur-Großeltern und der jüngere Bruder meines Urgroßvaters Jakob Klein. Er wurde am 19. Oktober 1870 im Stammhaus der Kleins in Selbach geboren.

 

Als Herr Bölkow mich Anfang des Jahres anrief und fragte, ob mir der Name „Anton Klein“ etwas sage, konnte ich sehr präsent sagen: „Ja, sogar zweierlei: So hieß mein Großvater. Aber wenn Sie aus Iversheim anrufen, dann meinen Sie bestimmt seinen Patenonkel, von dem er den Vornamen hatte, unseren „Onkel Pastor.“ Geprägt von meinem Elternhaus, habe ich mich in meiner Jugend intensiv mit der Selbacher Heimatgeschichte beschäftigt und zusammen mit meinem Freund Bruno ein Buch darüber herausgegeben, das auch eine kurze Biografie von Pfarrer Anton Klein enthält. Dort heißt es:

 

„Nach dem Besuch der Selbacher Volksschule, der Rektoratsschule in Wissen und seinen Studien am Kölner Priesterseminar wurde Anton Klein am 2. Juli 1896 in Köln zum Priester geweiht. Seine Primiz feierte er am 5. Juli 1896 in Selbach. 1925 wurde er nach verschiedenen Stationen priesterlichen Wirkens Pfarrer von Iversheim in der Voreifel, wo er bis zu seinem Tode am 22. April 1945 segensreich tätig war. Bei der Bevölkerung war der Mensch und Pfarrer Anton Klein sehr beliebt und geachtet. Er wurde unter großer Teilnahme seiner

Pfarrkinder auf dem Friedhof von Iversheim beigesetzt. Aus seiner Heimat konnte ihm wegen der Wirren der letzten Kriegstage nur der zufällig in der Nähe weilende Kaplan Weber das Letzte Geleit geben.“

 

In unserem Heimatbuch ist ein Detail nicht erwähnt, das ich Ihnen heute gerne enthüllen möchte, weil ich es doch für berührend halte. Frau Tebroke hat es mir erzählt, die bei Kriegsende Lehrerin in Iversheim war. Ich besuchte sie 1987 bei den Recherchen zum Heimatbuch zusammen mit Bruno und dem eben erwähnten Kaplan Peter Weber, der damals bereits Ruhestandsgeistlicher war und mit dem wir auch nach Iversheim an das Grab kamen und Zeitzeugen trafen.

Frau Tebroke berichtete, dass Pfarrer Klein am Sonntag, den 22. April 1945, in der von amerikanischen Soldaten befreiten Zone starb, nachdem er zusammen mit seiner Gemeinde in einer Prozession das von den Nazis entfernte Kreuz wieder in die Schule gebracht hatte. Nach der Prozession fand ein Gottesdienst in der Pfarrkirche statt. Danach setzte sich Pfarrer Klein in der Sakristei auf einen Stuhl, um auszuruhen. Das Geschehen hatte den damals 74jährigen mitgenommen, Kraft gekostet und zutiefst bewegt. Er erleidet einen Herzinfarkt und stirbt auf der Stelle in der Sakristei.

 

Welche Tragik und zugleich welch grandioser Tod im Augenblick des Sieges für den Priester Anton Klein und Kämpfer gegen den Nationalsozialismus, den wir heute ehren!

 

Ich weiß, ich muss mich kurz fassen heute Morgen. Daher nur noch zwei Fragen, die ich hier aufwerfen möchte an diesem Tag:

 

Die erste Frage ist unmittelbar verbunden mit dem Anlass der heutigen Ehrung: Woher nahmen Pfarrer Anton Klein und sein Mitstreiter den Mut zum Widerstand gegen ein so verbrecherisches Regime, bei dem sie mit allen Konsequenzen, mit Folter, Haft und Tod, rechnen mussten?

 

Wir sind uns sicher einig, dass Grundlage der tiefe katholische Glaube mit dem Gebot von Gottes- und Nächstenliebe war, dem weltanschaulichen Contra gegenüber dem Größenwahn, dem Nihilismus und der Menschenverachtung der Nationalsozialisten.

 

Woher aber der konkrete Mut zum Widerstand, zum Widerstehen? Es gab damals mehr Gläubige als Helden.

 

Die beiden Männer, die wir heute ehren, waren in besonderem Maße geprägt vom Kulturkampf der Bismarckzeit, vom Bewusstsein, sich als Teil der katholischen Minderheit im Deutschen Reich gegen die Anfeindungen des Staates wehren zu müssen, sich zu behaupten.

 

„Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“

Die Aufforderung aus der Apostelgeschichte (Apg 5,29) war diesen Männern in Fleisch und Blut und überzeugte sie, dass sie es riskieren mussten, die Briefe des Bischofs von Münster, von Galen, gegen das Euthanasie-Programm der Nazis zu vervielfältigen und auch der Gemeinde im Gottesdienst vorzulesen. Übrigens eine Widerstandsmaßnahme des katholischen Deutschlands auf dem Höhepunkt des nationalsozialistischen Regimes, die Erfolg hatte.

 

Die zweite Frage, die ich heute aufwerfen möchte, ist ungleich schwieriger; wir haben, wenn wir ehrlich zu uns und zueinander sind, keine eindeutigen Antworten darauf:

 

Wie würden wir uns heute bei vergleichbaren Gefahren verhalten?

 

Welche Gefahren könnten das sein? Ich meine Gefahren für die Werte des Grundgesetzes, die beste und freiheitlichste Verfassung, die Deutschland je hatte. Die Frauen und die Männer des Parlamentarischen Rates, die wir in diesen Tagen feiern, schrieben in die Präambel des Grundgesetzes, dass sie die Freiheitsrechte und die Ordnung der Staatsgewalten „im Bewusstsein ihrer Verantwortung vor Gott und den Menschen“ verfasst haben.

 

Ich habe 1989 in Bonn mein erstes juristisches Staatsexamen gemacht und von meinen Vorfahren ein hohes Empfinden für die Werte von Freiheit geerbt, die wir gegen ihre Feinde, gegen autoritäre Bestrebungen ebenso wie gegen Verabsolutierungen jedweder Ansprüche, auch von Klima und Gesundheit, verteidigen müssen.

 

Das Landgericht, an dem ich die Staatsprüfung ablegte, hatte damals noch im hinteren Bereich ein Gefängnis, vermutlich dasjenige, in dem Heinrich-August Metzler und mein Urgroßonkel ihre Haft bei den Nazis verbringen mussten.

 

Konrad Adenauer hat in seinen Erinnerungen geschrieben: „Das Wichtigste ist der Mut.“

 

Der Familienvater Heinrich-August Metzler und der Pfarrer Anton Klein aus Iversheim haben die Probe ihres Lebens mit Bravour bestanden. Wir ehren heute diese beiden Vorbilder, wir verneigen uns vor ihrem Mut.

 

 


 

 

 
 
 

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Kommentare

Mit 0 von 5 Sternen bewertet.
Noch keine Ratings

Rating hinzufügen
bottom of page